1. Baden-Württembergisches Forum NaturErlebnisSpielräume für Kinder
in Kindergarten, Kita und Krippe, am 8. Oktober 2015 in Karlsruhe
Zusammenfassung der Vorträge
Wie eignen sich Kinder die Welt an? Ralf Birkner, MOBI - Mobile Spielaktion Karlsruhe
Naturnahes Bewegen im Elementarbereich. Jun. Prof. Dr. Rolf Schwarz, Pädagogische Hochschule Karlsruhe
Risiken beim Spielen im naturnahen Spielraum. Dipl.-Ing. Michael Sommer, Unfallkasse Baden-Württemberg
Elemente und Spielwert des naturnahen Spielraums – Pflanze, Holz, Erde, Wasser, Steine. Stella Friede und Michaela Senk, GartenSpielRaum
Unser naturnahes Außengelände – ein Erfahrungsbericht aus der Praxis. Sabine Fetzner, Wiegestube Sonnenschein Karlsruhe-Rintheim
Beteiligungsprojekte und städtische Kindertagesstätten in Karlsruhe. Dipl.-Ing. LA Klaus Weindel, Gartenbauamt Karlsruhe
Abschlussrunde mit den Referenten
Wie eignen sich Kinder die Welt an?
Ralf Birkner von der Mobilen Spielaktion Karlsruhe konnte das Publikum am frühen Morgen schon mit seiner einnehmenden Art in den Bann ziehen. Trotz beengter und schulischer Atmosphäre im voll besetzten Tagungsraum schaffte er es, die Aufmerksamkeit auf die Kindersicht der Dinge zu lenken: Nicht die Kinder haben sich verändert, ihre Umwelt hat es.
Sein Credo: Kinder brauchen Raum, Zeit, Zeug und Begegnung!
Kinder spielen nicht um zu lernen, aber sie lernen im Spiel, weil Spiel für Kinder die einzige Möglichkeit ist, die Welt zu begreifen.
Die Erwachsenen sollten den Kindern die Möglichkeit bieten, ihr eigenes Wesen, ihre Stärken und Schwächen, ihre eigene Welt kennen zu lernen. Erwachsene sollten als Vorbilder dabei zwar im Hintergrund bleiben, sich aber nicht völlig heraus halten.
Und sie sollten wieder die Verantwortung für Kindheit übernehmen!
Naturnahes Bewegen im Elementarbereich
Jun. Prof. Dr. Rolf Schwarz (Pädagogische Hochschule Karlsruhe) beschrieb in seinem Vortrag eindrücklich, aus welchen Gründen die Intervention des Außengeländes wichtig ist: es herrscht noch immer ein rasanter Flächenverbrauch, der Frei- und damit Bewegungsräume immer weiter einschränkt. Statistisch gesehen haben Kinder weniger Anspruch auf Freiraum als Autos oder sogar Zoo-Tiere.
Kinder bewegen sich nachweislich mehr und differenzierter, wenn sie sich im Außengelände aufhalten und entwickeln eine höhere Risikokompetenz.
Anhand von Forschungsergebnissen konnten verschiedene Gestaltungsprinzipien entwickelt werden, die als besonders motivierend für Bewegung angesehen werden können: vielfältige Natur (Wohlbefinden), freie Spielfläche, Hecken als Rückzugsorte, Korridore, die einzelne Bereiche miteinander verbinden, und Spielgeräte als Ergänzung (z. B. Rutsche).
Außerdem wurde unterstrichen: ohne Erzieherinnen gilt draußen das Recht des Stärkeren, und vor allem motorisch schwache oder sozial gehemmte Kinder brauchen aktive Erwachsene, die sie anleiten.
Risiken beim Spielen im naturnahen Spielraum
Michael Sommer von der Unfallkasse Baden-Württemberg erläuterte anhand verschiedener Beispiele, welche Risiken Kinder im naturnahen Spielgelände erwarten – und warum das gut ist.
Bei der Risikoabschätzung wird die DIN EN 1176 herangezogen, ob im konventionellen oder im naturnahen Spielraum. Darüber hinaus konnte Herr Sommer verschiedene Broschüren zeigen, die sich speziell mit dem Thema „Naturnahes Gelände“ beschäftigen, und die wichtigsten Regelungen knapp zusammenfassen.
Beispielhaft wurden Fehler aufgezeigt, die bei nicht fachkundiger Ausführung gemacht wurden und die dazu führten, dass Teilbereiche nicht abnahmefähig waren – was manchmal bei Eigenbauaktionen vorkommt.Insgesamt sollten den ZuhörerInnen Ängste genommen werden. Immer mehr Sicherheit führt nicht zu weniger Unfällen – sonder eher zu mehr, z.B. durch inneres „Abgeben“ von Aufmerksamkeit und Risikobewusstsein sowohl bei den Kindern also auch bei den Erziehungsberechtigten ( oder –beauftragten).
Naturnah gestaltete Außengelände tauchen in den Unfallstatistiken der Unfallkasse Baden-Württemberg nicht auf – allein darum, weil hier keine schweren Unfälle vorkommen!
Elemente und Spielwert des naturnahen Spielraums – Pflanze, Holz, Erde, Wasser, Steine
Im Vortrag von GartenSpielRaum aus Karlsruhe erläuterten Michaela Senk und Stella Friede, welche Ideen, Vorbilder und äußeren Faktoren der Planung von naturnahen Spielräumen zugrunde liegen. Wichtig ist die Gliederung des Außengeländes in unterschiedliche Bereiche: Ruhe, Bewegung, Naturerfahrung und die Verbindung dieser Bereiche miteinander.
Unter den Überschriften: viel unüberschaubarer Platz, vielfältige Bewegungsmöglichkeiten bieten, Rückzugsorte und Rollenspiele ermöglichen, Vielfalt und Übergänge schaffen sowie heimische und standortgerechte Pflanzen verwenden wurden mit vielen Bildbeispielen aus der Praxis die verschiedenen Elemente des naturnahen Spielraums vorgestellt.
Naturnah gestaltete Spielräume sind kindgerecht, weil sie Kindern ermöglichen, die Natur mit allen Sinnen zu erfahren, sich Wissen anzueignen, Verständnis für Zusammenhänge zu entwickeln und letztendlich Verantwortung zu übernehmen – ein Kreislauf für gesunde Entwicklung – ganz nebenbei im Spiel!
Unser naturnahes Außengelände – ein Erfahrungsbericht aus der Praxis
Sabine Fetzner, Erzieherin in der Wiegestube Sonnenschein in Karlsruhe-Rintheim, führte die ZuhörerInnen wie an unsichtbarer Hand mitten hinein in ihren Arbeitsalltag in der Kinderkrippe. Ein auf den ersten Blick unfertiges Gelände entwickelte sich im Lauf eines Jahres zum Lern- und Erfahrungsraum. Dieser wurde Stück für Stück weiter verändert, so dass die Kleinkinder immer wieder auf neue Herausforderungen stießen, wo sie sich schon sicher und selbständig bewegten.
Womit beschäftigen sich unsere Kinder draußen in der Natur? Welches sind hier ihre bevorzugten Plätze?
Sabine Fetzner zeigte dazu viele Bilder und kleine Filmsequenzen aus der Kinderaugen-Perspektive.
Aus den Beobachtungen liest sie die Bedürfnisse der Kinder ab: gehen, laufen, steigen, klettern, überspringen, herunterspringen, hüpfen, rutschen, krabbeln, Gleichgewicht, Entfernung, Größen, Mengen, Gewicht, Verformung, Kraft, Spannung, öffnen, schließen, innen, außen sein, verschwinden, erscheinen, transportieren, schieben, ziehen, schütten, tragen, ein- und ausladen, mischen.
Sie stellt sich als Beobachterin neben dran. Und sieht außerdem ihre Aufgabe im immer wieder Herstellen einer Ordnung, von der aus die Kinder erneut agieren können. Dabei wird sie beobachtet – und nachgeahmt!
Beteiligungsprojekte und städtische Kindertagesstätten in Karlsruhe
Herr Weindel, stellvertretender Leiter des Gartenbauamtes Karlsruhe, erläuterte in seinem Vortrag die Vorgehensweise der Stadt bei der Gestaltung von Kindergärten und Kindertagesstätten. Die Stadt Karlsruhe war 2015 für 41 Kitas zuständig. Die Zahl der Regelkindergärten geht zurück, dafür gibt es immer mehr Bedarf an Ganztagsangeboten und Betreuung von unter Dreijährigen. Die Aufgaben des Gartenbauamtes sind zum einen die Neuplanung und Sanierung von Kita-Außengeländen, zum anderen die Grundpflege und Instandhaltung.
Obwohl es in Karlsruhe eine langjährige Tradition von Beteiligungsprojekten gibt, z. B. Schulhofbeteiligungsprojekte, Beteiligung bei der Planung öffentlicher Spielplätze, Beteiligung im Rahmen von Sanierungsgebieten (z. B. Spielleitplanung Mühlburg), findet dies in Kindergärten und Kitas so gut wie nicht statt. Das liegt oft daran, dass es sich um Neugründungen handelt, bei denen in der Planungsphase noch kein Team/keine Eltern anzutreffen sind, deren Wünsche und Ideen berücksichtigt werden könnten.
Naturnahe Außenraumgestaltung begreift das Gartenbauamt als Angebot, das vom Team verlangt und mitgetragen werden muss. Es ist kein „Standart“. Themen wie: grundsätzliche Kenntnisse über Flora und Fauna, Bereitschaft zum Gärtnern - auch über das Jahr, Management, Pflege und Betreuung müssen vom Kindergartenteam mitgebracht werden, um ein naturnahes Gelände nachhaltig zu sichern.
In der abschließenden Diskussionsrunde konnten die ZuhörerInnen mit den ReferentInnen diskutieren. So wurde aus dem letzten Vortrag die Frage nach dem Standart gestellt – kann naturnahe Gestaltung nicht als Standart festgelegt werden?
Fazit der Diskussion:
Für die Kinder wäre naturnahe Gestaltung des Außengeländes die beste Lösung. Es ist allerdings seitens des Teams die Bereitschaft nötig, die Kinder in solch ein Gelände zu führen und sie dort zu unterstützen selbst aktiv zu werden.
Das wiederum erfordert zumindest eine entsprechende Ausbildung der Erzieher, besser wäre Begeisterung für und Liebe zur Natur.
Ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung "naturnahe Gestaltung als Standard" wäre darüber hinaus, dass auch die Träger der Einrichtungen sich verstäkt mit dem Thema auseinandersetzen und klare Vorgaben in diese Richtung erarbeiten.
Das 2. Baden-Württembergische ErzieherInnen-Forum
findet im Oktober 2016
in Zusammenarbeit mit der Gartenakademie Baden-Württemberg
und dem Naturgarten e. V., Regionalgruppe Karlsruhe/Südpfalz statt.